„An den Börsen wird die Zukunft gehandelt."

Die Börsenindizes erklimmen ein Hoch nach dem anderen – und das mitten in der stärksten globalen Wirtschaftskrise seit der Großen Depression 1929. Höhenflüge an den Kapitalmärkten einerseits, Konjunktureinbrüche andererseits. Wie das zusammenpasst, erklärt Stefan Amenda, Leiter Multi Asset der MEAG.

Herr Amenda, Marktbeobachter sehen ein beträchtliches Korrektur-Risiko und damit ein Ende des derzeitigen Höhenfluges an den Kapitalmärkten. Selbst die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) warnt vor einer signifikanten Marktkorrektur. Die Kapitalmärkte hätten sich von der Wirtschaftsaktivität entkoppelt. Was bedeutet das für die Anleger?

Auch ich bin der Meinung, dass die Stimmung an den Börsen derzeit besser ist als die aktuelle konjunkturelle Lage. Das ist aber nichts Außergewöhnliches. Denn an den Börsen wird die Zukunft gehandelt, nicht die Gegenwart. Die entscheidende Frage ist, wie schnell die Konjunktur aus diesem Tal herausfindet. Die Indikatoren, welche die Konjunkturlage in der Zeit des Lockdowns abbilden, sind äußerst negativ ausgefallen. Doch das liegt hinter uns. Die Kapitalmärkte gehen derzeit sogar von einer sehr schnellen und kräftigen Erholung aus. Das ist schon erstaunlich.
 

Mit welcher konjunkturellen Entwicklung rechnen Sie?

 

Die Erholung vollzieht sich in der Tat sehr schnell, schneller als zunächst angenommen. Und nach allem, was wir sehen und annehmen können, werden die Regierungen und Zentralbanken alles tun, um einen weiteren Einbruch zu verhindern und die Wirtschaftsaktivität zu stützen. Bundesgesundheitsminister Spahn hat ja auch darauf aufmerksam gemacht, dass es bei einer erneuten Zunahme des Infektionsgeschehens nicht mehr der einschneidenden Maßnahmen bedürfe, die wir im Frühjahr gesehen haben. Die Wahrscheinlichkeit eines zweiten Lockdowns ist daher auch von dieser Seite her geringer geworden. Der freundliche Konjunkturverlauf gilt jedoch nicht für alle gleichermaßen: Die Entwicklung verläuft je nach Branche und Segment stark unterschiedlich.

In den vergangenen Monaten waren wir erfolgreich positioniert, da wir die positive Marktbewegung insgesamt sowie die unterschiedlichen Branchenentwicklungen gut für uns nutzen konnten.

Stefan Amenda, Head of Multi Asset

Welche Branchen sind besonders betroffen?

Die Pandemie hat zu einem starken Druck geführt, sich neu aufzustellen. Zu den Branchen, die in absehbarer Zeit wahrscheinlich nicht mehr auf die vergangenen Niveaus gelangen werden, zählen Geschäftsreiseverkehr oder Kultur und Sport in Zusammenhang mit Luftverkehr, Hotellerie und Veranstaltungen. Andere Bereiche, wie zum Beispiel der Bankensektor und die Automobilbranche, die bereits vor der Pandemie mit dem Strukturwandel zu kämpfen hatten, müssen den Wandel nun unter erschwerten Bedingungen mit noch höherem Tempo durchsetzen. Ob das gelingt, ist noch keineswegs ausgemacht.

Wo läuft es gut?

Zu den Gewinnern zählen vor allem Unternehmen, die von der Nachfrageverschiebung in der Pandemie profitieren konnten, beispielsweise in der Logistikbranche. Profiteure sind zudem Firmen, denen der Markt eine rasche Umstellung auf die neue Situation zutraut: innovationsgetriebene Technologieunternehmen. Dass sich hier einige bekannte US-Adressen besonders hervortun, ist nicht überraschend.

Mit welcher Ausrichtung der Portfolien gehen Sie in den Herbst?

Wir bleiben konstruktiv. In den vergangenen Monaten waren wir erfolgreich positioniert, da wir die positive Marktbewegung insgesamt sowie die unterschiedlichen Branchenentwicklungen gut für uns nutzen konnten. Wir gehen weiterhin von einer Stabilisierung und Erholung aus. Das weitere Kurspotenzial für den Gesamtmarkt halten wir jedoch für begrenzt. Es wird auf dem derzeitig hohen Kursniveau immer wieder Rücksetzer verbunden mit Gewinnmitnahmen geben. Chancen sehen wir sehr selektiv in einzelnen Titeln. Auch in der derzeitigen Phase einer relativen Stabilisierung ist weiterhin höchste Wachsamkeit geboten. Die Kapitalmärkte sind und bleiben schwankungsfreudig. Anleger sind daher für die kommenden Herausforderungen mit einem breiten, über alle relevanten Assetklassen stark besetzten Portfolio bestens gerüstet.